„Die Landschaftsfotografie ist eigentlich schon seit Jahren ausgereizt“ verriet mir um 1990 der damalige Gerätewart unseres hiesigen Fotoclubs – seines Zeichens ein Liebhaber des berüchtigten Tabak-Verlaufsfilters von Cokin.
Dem konnte ich als fotografischer Jungspund kaum etwas entgegensetzen – innerlich sträubte sich aber alles in mir. Ich konnte diese Aussage in ihrer Pauschalität einfach nicht akzeptieren.
Wohin mich meine Haltung viele Jahre später führen würde, hätte ich damals nicht zu träumen gewagt.
Vorgeschichte
Im September 2019 stand ich direkt vor meiner dritten Reise nach Sibirien. Ich wollte im Altai–Gebirge erneut für mein Projekt „Die Kalligraphie der Natur“ fotografieren. Leider schrumpfte das für diese Tour verfügbare Zeitfenster durch arbeitsbedingte Notwendigkeiten peu à peu auf eine gute Woche zusammen – wodurch die Reise kurz vor einer Absage stand. Alleine die CO2–Bilanz des Fluges stand in keiner Relation zur verfügbaren Zeit vor Ort, ganz zu schweigen von den Kosten. Nachdem aber auch in diesem Jahr die mediale Berichterstattung in Deutschland aus und über Russland sehr negativ gefärbt war, verspürte ich den immensen Wunsch, diese Eindrücke in mir geradezurücken – und wie hätte das besser gehen können, als durch einen, wenn auch kurzen, Besuch vor Ort. Dieser Wunsch gab mir den entscheidenden Impuls, auch in diesem Jahr den Blick „hinter die sieben Berge“ zu wagen.
Allerdings musste die Reise aufgrund der kurzen Dauer umgeplant werden, damit ich nicht zu viel Zeit auf der Straße verbringen musste. Ich schwenkte also von der motivmäßig „sicheren Bank“ des Altai–Gebirges mit seinen faszinierenden und vielfältigen Berglandschaften auf die sog. „Region Altai“ (Altai Krai) um. Dieses Gebiet hatte ich 2 Jahre vorher erstmals gestreift – damals in völligem Unwissen, was mich dort erwartete. Es handelt sich um den östlichen Ausläufer der westsibirischen Tiefebene – eine Gegend, die gleichsam unvorstellbar ausgedehnt als auch unvorstellbar flach ist. Für die klassische Landschaftsfotografie ist die Region wenig reizvoll – wenn man nicht gerade eine Bilderserie fotografieren möchte, die sich repetitiv durch einen exakt geraden Horizont auszeichnet.
Mit einer Drohne im Gepäck sah die Sache natürlich ganz anders aus, und ich hatte dann auch 2 Jahre vorher wirklich interessante Bilder von wie verrückt mäandernden Flüssen und überraschenderweise auch sehr abstrakte Bilder von Ablagerungen am Ufer des großen Salzsees „Kulunda“ machen können. Für 2019 hatte ich die Prioritäten umgekehrt – ich wollte vor allem die Salzseen fotografieren, die sich in dieser Landschaft finden – und sollten sich Flüsse anbieten, würde ich die natürlich auch mit dazu nehmen.
Man darf sich berechtigterweise die die Frage stellen, wie man überhaupt auf diese Motive kommt. Die Voraussetzungen dafür waren eigentlich gar nicht so gut:
Ich kannte niemanden, der hier schon fotografiert hat und noch viel weniger jemanden, der oder die hier schon mal Luftbilder gemacht hat
Ich kannte kein Buch oder irgendeine andere Publikation zu dem Sujet
Letztlich wusste ich über diese Gegend eigentlich überhaupt nichts – ich hatte nur die Bilder aus Google Maps. Aber diese regten meine Fantasie an - und zwar aufs heftigste.
Wie oben angedeutet, wollte ich in der Landschaftsfotografie immer schon Grenzen überschreiten. So wurde das Entdecken neuer Landschaften und Sichtweisen zu einem wichtigen Bestandteil meines eigenen kreativen Prozesses. Eine bislang unbekannte Gegend schreit mich geradezu an: „Komme!“ – und je öder diese Gegend auf den ersten Blick auch aussehen mag, desto reizvoller wirkt das Projekt auf mich, auch wenn die Gefahr eines Scheiterns damit umso größer wird.
Zu meinem großen Glück bin ich in der Wahl meiner Sujets völlig frei. Das einzige, was mir permanent fehlt, ist Zeit. Eigentlich müsste ich deshalb versuchen, meine wenige für Reisen verfügbare Zeit möglichst effektiv zu nutzen – im Sinne von maximal großartigem Output pro Tag. Aber wenn ich mich zwischen einer Woche auf dem landschaftlich zweifelsfrei großartigen Island (von wo ich schon zig gleichförmige Bilder von so ziemlich jedem Wasserfall und jedem Felsen gesehen habe), oder der gleichen Zeit irgendwo ganz weit abseits der Wege, ohne auch nur einen Hauch Ahnung davon, mit welchen Bildern ich nach einer Woche zurückkommen werde (möglicherweise auch gar keinen?) – ich würde mich immer blindlings für die Reise ins Unbekannte entscheiden – also letztlich für die Reise, wohin mein Herz mich trägt.
Motivsuche im fernen Russland
Eigentlich wollte ich über Frust und Lust bei Reisen uns Unbekannte schreiben, denn diese beiden Begriffe haben sich auf der Tour durch den Altai Krai für mich an 2 aufeinanderfolgenden Tagen in besonderes intensiver Weise manifestiert.
Wir, das heißt meine Führer- und Dolmetscherin, mein Fahrer und ich, waren zu diesem Zeitpunkt schon ein paar Tage unterwegs, die Ausbeute an Bildern war durchwachsen. Lange Fahrstrecken, schlechte Straßen und die Akku-Ladezyklen der Drohne diktierten den Tagesablauf.
Ich hatte meine Ziele wie bereits erwähnt mangels Alternativen einfach anhand von Google Maps geplant, und für diesen Tag hatten wir ein wirklich aussichtsreiches Gebiet auf dem Plan – einen Cluster von Salzseen nahe der Kasachischen Grenze. Diese Salzseen schienen annähernd rund zu sein und hatten auf dem Bild aus Google Maps verschiedene Farbtöne – alles in allem sehr vielversprechend, und ich hatte hohe Erwartungen an den Tag. Ein wesentlicher Pluspunkt war auch, dass die Seen halbwegs erreichbar schienen – es führten augenscheinlich so etwas wie Feldwege dorthin.
Als dann mein Fahrer sein kleines SUV von der Hauptstraße weg zunächst über Nebenstraßen und schließlich gefühlt stundenlang über angedeutete Feldwege in das Seengebiet hineingelenkt hatte, zeigte sich schnell ein unerfreuliches Bild. Die ersten beiden Seen, die wir angesteuert hatten, waren ausgetrocknet. Über der Ebene lag in unfassbarer Stille unter einer leichten Wolkendecke das sämige Licht des späten Nachmittags. Ich dachte mir noch: Pech mit den beiden Seen, hoch mit der Drohne – aber von oben sah die Sache noch viel ernüchternder aus. Nahezu alle relevanten Seen waren komplett ausgetrocknet, zurückgeblieben waren flache, weiße, unangenehm fischig riechende Pfannen.
Was für ein Debakel! Ein Motiv, auf das ich mich schon in Deutschland gefreut hatte, war einfach so überhaupt nicht da. Aber wer hätte mir schon sagen können, dass diese flachen Salzpfannen im September ausgetrocknet sein könnten? Ich kannte ja nicht mal einen Menschen, der überhaupt auch nur von der Existenz dieser Lachen wusste. Ich war deprimiert und wütend über meinen Fehlschlag. Denn dieser Tag hätte eigentlich einer der Höhepunkte dieser Reise werden sollen.
Mir war natürlich von vornherein klar, dass diese Motive sehr spekulativ waren. Gerade die Luft– und Satellitenbilder aus abgelegenen Regionen sind oft irreführend in Sachen Farbgebung und Motivsituation. Dieses Risiko war mir durchaus bewusst.
Ich habe mir dann einfach mal all die schönen Sprüchlein über die positiven Seiten des Scheiterns ins Gedächtnis gerufen und schnell wieder weggewischt. Schöne Motive wären jetzt doch besser, als in Schönheit zu scheitern. Und wie so oft gab der Verlust des Einen den Blick auf etwas anderes frei. Weiter nordöstlich gab es noch einen See, der zwar nicht in all diesen Farben schillerte, aber möglicherweise interessante Uferformen haben könnte. Wir tauchten also, während die Sonne langsam tiefer sank, noch weiter in diese unwirkliche, unendlich einsame Landschaft ein. Irgendwann hielten wir in der sandigen Ebene nahe des besagten Sees an. Und wirklich: Ufer und Inseln zeigten bizarre Formen, so dass ich hier noch mit Freude meine 5 Akkusätze leer fliegen konnte. Ein kleiner Trost, an diesem sonst so ernüchternden Tag – und doch nur ein kleiner Vorgeschmack auf den nächsten.
Wir übernachteten in einer netten kleinen Ferienanlage, die zu diesem späten Zeitpunkt im Jahr schon so gut wie ausgestorben war, und für diese Gegend einen geradezu überbordenden Luxus bot.
Am nächsten Tag ging es dann weiter nach Südosten, in Richtung „Malinowoje Osero“ (Himbeersee) nahe der gleichnamigen Siedlung. Wie der Name schon verrät, sollte es sich dabei um einen sehr eigentümlich gefärbtes Gewässer handeln.
Der alkalische, bitter-salzige See enthält „Schwefelleberwasser“, in dem sich Salinenkrebse und Phytoplankton wohl fühlen. Letzteres sorgt je nach Jahreszeit für eine rosa oder braunrote Färbung des Wassers. Nachdem meine Erwartungen schon aufgrund der zartrosa anmutenden Satellitenbilder nicht allzu hoch flogen, hatte mich das Erlebnis vom Vortag zusätzlich pessimistisch gestimmt. Dazu kam das Gerücht, dass der große Himbeersee seine Färbung weitgehend verloren hätte. Durch einen Eintrag einer größeren Menge Süßwasser sollte die Salzkonzentration gesunken sein sollte. Das wiederum hätte die Lebensbedingungen des Phytoplanktons massiv beinträchtig.
Als wir von Michailowskoje aus durch das betreffende Seengebiet fuhren, wurde schnell klar, dass der große Himbeersee in der Tat seine Färbung eingebüßt hatte. Er war weder rosa noch braunrot, sondern eher gelb–grünlich gefärbt. Der Schrecken währte jedoch dieses mal nur ganz kurz, denn nahe dem Ort „Himbeersee“ fanden wir einen weiteren, kleineren See, der schon von Weitem mit einer vielversprechenden Färbung lockte. Wir fuhren von der Straße ab und ich brachte die Drohne in die Luft.
Was ich dann sah, raubte mir förmlich den Atem. Der See war nicht zartrosa gefärbt, sondern schillerte in unfassbar tiefen Rottönen. Und damit nicht genug – offensichtlich hatten sich in ihm durch auskristallisierende Salze geradezu hypnotische Strukturen gebildet, die wie nicht von dieser Welt wirkten.
Der Rest meines Aufenthalts an diesem Ort verbrachte ich dann abwechselnd mit Akkus laden und fliegen, laden, fliegen und so weiter. Die Siedlung selbst war nicht sonderlich attraktiv – meine Dolmetscherin meinte, das wäre jetzt meine persönliche Zeitreise in die Sowjetunion. Wir hatten eine nette Unterkunft in einer leer stehenden Privatwohnung, ansonsten wirkte alles sehr trostlos und unvorstellbar weit weg vom Rest der Welt. Aber ich hatte in der Gegend ein paar ganz wunderbare Flüge mit dem Kopter – am kleinen Himbeersee zu verschiedensten Tageszeiten, und an den umliegenden Seen.
Hinter dem Ort fand sich eine aus dem ab 1929 errichteten Michailowsker Soda–Kombinat hervorgegangene Chemiefabrik, die heute unter dem Namen „Michailowsker Werk für chemische Reagenzien“ produziert. Während mir die Reagenzien herzlich egal waren, hatten es mir die alten Soda–Salinen hinter dem Werk umso mehr angetan – aber die dort entstandenen Bilder zeige ich in einem späteren Beitrag.
Das war er also, der Lohn all der Mühen.
Ich war mal wieder die ganz weiten Wege gegangen und hatte meiner ganz persönlichen Intuition über alle Zweifel und Rückschläge hinweg vertraut. Am Ende kam ich mit Bildern von einem Motiv zurück, von dem ich vorher gar nicht wusste, dass es existiert. Und so komme ich zu dem Schluss, dass das Vertrauen in die eigene Intuition ein unersetzlicher Baustein auf dem Weg zu neuen Motiven ist.
Ich sollte das im Hinterkopf behalten.
Falls Ihr Euch in der Gegend noch etwas frei umsehen möchtet: ich habe ein sphärisches Panorama fotografiert, mit dem ich Euch zum Abschluss dieses Beitrags viel Spaß beim Betrachten, Drehen und Zoomen wünsche! (Klickt dazu einfach auf in das Panoramabild unten)
Für alle technisch Interessierten - so ist das Pano entstanden:
Ich habe es zunächst mit dem DJI Insprire 2 und der DJI Zenmuse X7 APS-C Kamera (Brennweite: 16mm äquivalent zu 24 mm Kleinbild) “freihändig“ fotografiert
Die Einzelbilder wurden in Adobe Camera Raw aus den DNG-Raw-Files in TIFF-Dateien konvertiert
Diese TIFF-Dateien wurden in meiner bevorzugten Stitching-Software PTGui zu einem sphärischen Panorama zusammengefügt.
Danach musste ich in der resultierenden Datei ein kleines Loch “flicken“, denn ich hatte an einer Stelle nicht aufgepasst und keine hundertprozentige Abdeckung der Bildkacheln erzielt
Das Gesamtpanorama habe ich dann in Adobe Photoshop nach persönlichem Geschmack final bearbeitet
Danach habe ich eine große JPEG-Datei exportiert, aus der ich mit der kostenlosen Software Marzipano das im Bowser zu betrachtende Endprodukt erstellt habe.